Im Januar 1945 begann der Sturm der Russen auf Ostpreußen, der für die Bewohner Ostpreußens zur Tragödie wurde. Durch den Vorstoß der Roten Armee wurde Ostpreußen Ende Januar 1945 vom Deutschen Reich abgeschnitten. Die Menschen versuchten sich in Trecks nach Westen durchzuschlagen oder die Ostseehäfen zu erreichen, um von dort auf Schiffen der Kriegsmarine nach Westen zu gelangen. Für diejenigen, die von der Roten Armee eingeholt oder überrollt wurden, bedeutete dies in den meisten Fällen Verschleppung, Vergewaltigung oder Tod. Es wird geschätzt, dass von den bei Kriegsende etwa 2,4 Millionen Bewohnern Ostpreußens ungefähr 300.000 unter elenden Bedingungen auf der Flucht ums Leben gekommen sind. Unter den Menschen, die bei den Versenkungen der Wilhelm Gustloff (30. Januar), der General von Steuben (10. Februar) und der Goya (16. April) starben, befanden sich viele Flüchtlinge aus Ostpreußen, mehrere Tausend pro Schiff.
Die Flüchtlinge versuchten den Russen zu entkommen, indem sie den Weg über das zugefrorene Frische Haff wagten. So wollten sie nach etwa acht Kilometern die Frische Nehrung erreichen, eine schmale Landzunge an der Ostsee. Von dort aus wollten sie weiter zum Danziger Hafen gelangen. Die Flucht über das zugefrorene Frische Haff erweist sich als fatal. Zahlreiche Fuhrwerke brechen in das brüchige Eis ein, weil sie von sowjetischen Tieffliegern beschossen werden. Die Menschen ertrinken und erfrieren in Scharen.
Der Einmarsch der Roten Armee nach Ostpreußen zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus. An Frauen wurden Massenvergewaltigungen verübt, die Soldaten schossen auf Zivilbevölkerung: Männer, Frauen und Kinder. Es gibt viele Orte, an denen solche Verbrechen von den Soldaten der Roten Armee begangen wurden, fast in jedem Dorf der Region. Bis 1989 konnte der Opfer nicht gedacht werden, weil offiziell das Stillschweigen über diese Ereignisse gewahrt wurde. In dem heutigen Woiwodschaft Ermland Masuren gibt es einige Erinnerungssymbole an diese Geschehnisse und an die Opfer.
Frauenburg
In Frauenburg befindet sich ein Gedenkstein zur Erinnerung an die Flucht der ostpreußischen Zivilbevölkerung über das Frische Haff. Auf der Gedenktafel sind folgende Worte auf Deutsch und Polnisch eingraviert: „450.000 ostpreußische Flüchtlinge flohen über Haff und Nehrung, gejagt vom unerbittlichen Krieg. Viele ertranken, andere starben in Eis und Schnee. Ihr Opfer mahnt zu Verständigung und Frieden.“
Kortau
Ein von den Gräueltaten der Roten Armee ist das Massaker im Krankenhaus in Kortau [Kortowo], einem Stadtteil von Allenstein [Olsztyn], wo sich heute Universitätscampus befindet. Zu Beginn des 20. Jh. war es eine der modernsten Anstalten für psychisch Kranke im Deutschen Reich. Die Patienten kamen aus ganz Ostpreußen. In den Jahren 1941-1945 wurden Teile des Gebäudes in ein Kriegslazarett umgewandelt.
1933-1945 wurden an den Insassen der Anstalt Zwangssterilisationen vorgenommen, um der Fortpflanzung von genetisch Belasteten vorzubeugen, wie es ein NS-Gesetz vom 14. Juli 1933 verlangte. Ab 1939 wurde die Anstalt in das Programm der Aktion T4 einbezogen (mit diesem Kürzel waren die Massenmorde an psychisch Kranken und Behinderten gemeint, auch „Euthanasie“ genannt). Die Patienten wurden jedoch nicht in Kortau getötet, sondern in psychiatrische Anstalten in Sachsen und Brandenburg gebracht. In Kortau kam es vermutlich aber zu Fällen von „wilder Euthanasie“: die Kranken wurden durch Arzneimittel getötet, damit es aussah, als seien sie eines natürlichen Todes gestorben. Rund 100 geistig Behinderte wurden an das sogenannte Euthanasienkommando „Lange” im Lager Soldau überwiesen. 500 Kranke „verschwanden“ im Januar 1945 bei der Evakuierung und Flucht vor der heranrückenden Front. Als die Soldaten der Roten Armee in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar in die Vorstadt von Allenstein einmarschierten, brachten sie alle um, die sich noch auf dem Krankenhausgelände befanden: die Insassen des Kriegslazaretts, Patienten, medizinisches Personal und Flüchtlinge, die sich hierher gerettet hatten (vor allem Frauen und Kinder). Die Rotarmisten brannten die Gebäude nieder, in denen sich die noch Anwesenden versammelt hatten. Auf die Fliehenden wurde mit Gewehren geschossen oder sie wurden durch Flammenwerfer bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Ärzte von Kortau wurden auf dem Dachboden des Gebäudes in der Warschauer Allee [heutige Aleja Warszawska 107] erhängt, der Anstaltsleiter und seine Frau in ihrer Villa erschossen. Nur ein Mensch überlebte das Massaker.
Die Opfer des Verbrechens wurden in Massengräbern beerdigt. In den Jahren ab 1950 wurden auf dem Krankenhausgelände sechs Massengräber mit Patienten, Krankenschwestern, deutschen Soldaten, Zivilpersonen und Kindern entdeckt. Sie wiesen Schusswunden auf, waren erwürgt oder erstochen worden. Die Ausgrabung der Leichen 1955 wurde sehr unprofessionell ausgeführt, das Protokoll ging verloren. Aus seiner fragmentarischen Abschrift geht hervor, dass die Leichen von 227 Männern, Frauen und Kindern aus dem Massengrab geborgen wurden. Bei der letzten Exhumierung 1963 wurden 109 Skelette entdeckt, die danach auf dem katholischen Friedhof an der Al. Wojska Polskiego bestattet wurden. Vorher waren die sterblichen Überreste der Opfer auf dem überfüllten evangelischen Friedhof in der Nähe in flachen Gräbern beigesetzt worden. Das Holz für die Särge wurde von Unbekannten als Brennmaterial benutzt, wodurch die Leichen teilweise offen lagen. Neueste Untersuchungen ergaben, dass auf dem überkonfessionellen Friedhof außerhalb von Kortau noch die sterblichen Überreste von 400 Menschen liegen. Die Zahl der Opfer wird damit auf 4.000 geschätzt.
Denkmal für die Opfer des Naziterrors
Ein Teil der ermordeten Patienten des Krankenhauses Kortau liegt am Denkmal für die Opfer des Naziterrors an der Baczewskiego Straße begraben, neben dem Krankenhaus des Innenministeriums. Daneben ruhen in einem Gemeinschaftsgrab Opfer der deutschen Konzentrationslager in Ostpreußen. Es ist schwer zu sagen, ob die hier begrabenen Deutschen im Rahmen der „wilden Euthanasie“ oder von Soldaten der Roten Armee getötet wurden. Zwei auf Sockel aufgestellte Reliefs werden durch die Aufschrift „Den Opfern des Naziterrors“ vervollständigt. Aus dem Text geht hervor, dass in dem Grab 4.670 Tote liegen, die in den Lagern und Krankenhäusern in Allenstein, Alt Jablonken, Deutsch Eylau und Königsgut erschossen wurden.
Denkmal in Kortau
Denkmal zum Gedenken der Begrabenen in Kortau wurde im Oktober 1997 auf Initiative der „Solidarność“ – Gruppe am Rande des ehemaligen Friedhofs in der Nähe des Instituts für Binnenfischerei gebaut. Es ist denjenigen gewidmet, die auf dem Kortauer Friedhof beerdigt wurden, sowohl den Patienten des psychiatrischen Krankenhauses als auch anderen Opfern (die Rote Armee ermordete etwa 400 Patienten und Personal des militärischen Krankenhauses). Das Denkmal besteht aus einem großen Felsblock mit einem Fragment eines Metallkreuzes mit der Aufschrift „Die Liebe höret nimmer auf!“, unten befindet sich Fragment eines Gedichts von Adam Asnyk „Tretet nicht auf die Altäre der Vergangenheit“. Neben dem Felsblock befinden sich verstreute Grabsteine.
Massenvergewaltigungen
Ein spezielles Leid, das nur Frauen und Mädchen traf, und dies ganz besonders in Ostpreußen, waren die Massenvergewaltigungen 1944-1945. Diese grausamen Taten geschahen in allen östlichen Teilen Deutschlands aber zuerst marschierten die Soldaten der Roten Armee nach Ostpreußen ein und hier tobten sie ihre Furie und Wut aus. Das Alter der Opfer spielte keine Rolle. Kein Ort war sicher. Vergewaltigt wurde selbst in Krankenhäusern, in Kirchen und auf Friedhöfen. Die Opfer wurden häufig nicht nur einmal von einem Täter gequält, sondern nicht selten viele Male von vielen Tätern. Augenzeugen berichten, dass die Vergewaltiger „Schlange standen“. Solche Gruppenvergewaltigungen führten oft zu schweren körperlichen und seelischen Verletzungen des Opfers, im schlimmsten Fall zu dessen Tod.
„Komm Frau“
Mit den Vergewaltigungen der sowjetischen Soldaten auf deutschen Frauen hat sich der aus Heilsberg [Lidzbark Warmiński] stammende Künstler Jerzy Bohdan Szumczyk auseinandergesetzt. Er schuf eine Skulptur unter dem Titel „Komm Frau“, die einen zwischen den Beinen einer liegenden Frau knienden Soldaten zeigt. Er hält eine Waffe in einer Hand, die die Frau in den Mund nimmt, mit anderer Hand hält er sie an den Haaren. Die Skulptur stand nur ein Abend auf der Hauptstraße von Danzig, direkt neben dem T-34-Panzer, der ein Symbol für die Eroberung Danzigs 1945 ist. Das Werk wurde nach einigen Stunden entfernt und weckte Empörung des russischen Botschafters. Der Fall wurde an die Staatsanwaltschaft gerichtet.
„Ich hatte das Gefühl, dass ich das Thema der Vergewaltigungswelle, die durch Danzig ging, loswerden musste“ – sagt Szumczyk. „Unter den Mengen von Denkmälern, gibt es keine Denkmäler für die Opfer.“ Der Künstler erklärte: „Ich wollte laut die historische Wahrheit sagen. Ich spreche vom verschwiegenen Teil der Geschichte. Über unschuldige Menschen, Frauen, die durch den Krieg gelitten haben. Dies ist das Thema meiner Arbeit. Ich befasse mich nicht mit Krieg als Konflikt einer Nation.“
Bewahren wir das Gedenken an alle Ostpreußen, die durch den Krieg sterben mussten!