Beim IV. Kulturfestival der deutschen Minderheit in Polen in der Jahrhunderthalle in Breslau Ende September 2012 sind die Jugendlichen von der Theatergruppe der deutschen Minderheit in Ermland und Masuren mit dem Theaterstück „Der vierte Platz“ aufgetreten. Die Gruppe hatte seit Juli alle zwei Wochen während der gesamten Sommerferien intensiv trainiert.
Das Buch von Horst Mönnich, das als Unterlage für die Aufführung diente, handelt über das schwere Schicksal einer westpreußischen Familie nach 1945. Die beschriebenen Erlebnisse trafen auch die damaligen Ostpreußen. Erlebnisse, über die in den Familien der Jugendlichen sehr wenig gesprochen wird. Deshalb stand zu Beginn des Trainings eine historische Einführung inklusive des Dokumentarfilms „Söhne“ von Volker Koepp, der auf der Geschichte der Familie Paetzold basiert.
Das Buch erzählt das Schicksal von Elisabeth Paetzold (im Buch heißt sie Ilse Bandomir). Die Protagonistin Ilse Bandomir (in dieser Rolle Kamila Mańka) gelingt es mit den zwei älteren Kinder Wolf und Christa Christa in den westlich von Oder und Neiße liegenden Teil Deutschlands ausgeflogen zu werden, aber die zwei kleinen Söhne Joachim und Jürgen bleiben in Sobowitz. Die Mutter will die beiden schnell abholen aber sie wurden durch die Front verteilt. Hier fängt die jahrelange Kindersuche an. „Der vierte Platz“ ist nicht nur Geschichte einer Familie nach dem 2. Weltkrieg aber auch Auseinandersetzung mit der Kollektivschuld aller Deutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Mönnich zeigt, dass nichts weiß oder schwarz ist. Er versucht das Einzelereignis in der Geschichte seiner Zeit verstehbar zu machen und zeigt ein individueller Schicksal, Leid, Schmerz.
Wie in Mönnichs Buch Ilse Bandomir flohen aus Pommern, Danzig, West- und Ostpreußen bis Anfang der 50er Jahre Millionen Deutschen. Die Flüchtlinge und Aussiedler kamen auch aus Schlesien, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien. Das Leid der Deutschen ist in Polen ganz oft noch Tabuthema oder sogar ein unbekannter Teil der Weltgeschichte, deswegen war die Wahl von Mönnichs Buch für ein Jugendprojekt nicht eine selbstverständliche Entscheidung. Es hat sich herausgestellt, dass die jungen Projektteilnehmer ihren Rollen gewachsen sind und die Tatsache, dass dieses Theaterstück während des Kulturfestivals der deutschen Minderheit in Polen vorgeführt wurde, zeigt, dass die junge Generation vorbereitet ist über dieses schweren Kapitel der Geschichte zu sprechen. Für die jungen Schauspieler war die Teilnahme an diesem Projekt nicht nur Spaß sondern auch Geschichtsunterricht.
Die Regie des Stücks hat Frau Ewa Huss-Nowosielska aus dem deutschen Verband in Heilsberg übernommen. Das Projekt wurde von der Leiterin der LO-Verbindungsbüro in Allenstein Frau Edyta Gładkowska koordiniert.
Das Stück wurde auch in Heilsberg und Mohrungen gezeigt. Während der Aufführung in Heilsberg war Stanisław Łoskiewicz (Hans Friedrich Paetzold), ein von den Elisabeth Paetzolds Kinder anwesend. Es war ein sehr bewegendes Treffen. Herr Łoskiewicz war beeindruckt, dass die Jugendlichen sich die Mühe gegeben haben und das Stück auf der Bühne aufgeführt haben.
1945 wurde der kleine Hans Friedrich von seiner Mutter durch die Front verteilt. Er und sein jüngerer Brüder blieben die ersten Tagen bei den Großeltern in Celbau aber später landeten sie im polnischen Kinderheim und bekommen polnische Namen. Hans Friedrich wurde als Staś von Jadwiga Łoskiewicz adoptiert. Sobald die leibliche Mutter nach Polen kam und den kleinen Staś bei Frau Łoskiewicz entdeckte, wurde sie verhaftet und die Adoptivmutter floh mit dem Kind. Erst mit 13 hat Staś von der Miliz erfahren, dass er Deutscher ist, weil er eine deutsche Mutter hat und wird nach Deutschland geschickt. Es war ein Schock für ihn, deswegen entschied er sich in Polen zu bleiben. Er traf seine leibliche Mutter erst als 23-jähriger Mann in der Tatra in der Slowakei. Es war ein tiefes Erlebnis.