Ziomkostwo Prus Wschodnich - Landsmannschaft Ostpreußen e.V.
 
Vom Weihnachtsschimmel und vom Pfefferkuchen

Vom Weihnachtsschimmel und vom Pfefferkuchen

Nachdem Landsmann Lilienweiß erzählt hatte, dass im Ermland – im Gegensatz zu den anderen ostpreußischen Landschaften – die Bescherung erst am Morgen des ersten Feiertags stattfand, kam er auf den Schimmelzug zu sprechen:

Schimmelreiterzug. Figuren (v. l.); Hausbewohnerin, Bär, Wanderbursche, Schimmelreiter, Storch, Bettelweib.
Quelle: Christoph Hinkelmann „Der Weißstorch in Ostpreußen“, Landsmannschaft Ostpreußen, Hamburg 1995.

„Ja, das Besondere vor Weihnachten war dann der „Hill Christ“ oder „Weihnachtsmann“ oder „Schimmelreiter“, wie wir sie so nannten. Der hatte mit: Pracherweib, den Storch, den Zigeuner, Soldat, den Schornsteinfeger, einen Bärenführer, den „Barelitter“, und ein Baer war auch dabei, der musste dann tanzen, und ein Reiter war mit, der hatte einen strammen Schimmel und eine tüchtig knallende Peitsch. Die kamen in die Häuser, und denn gab’s da manchmal auch einen ganz anständigen Rabbax. Das heißt: wenn sich einer mit dem Schimmelreiter nicht ganz gut gestanden hatte, dann gab es eine kleine Vergeltung. Ich weiß noch, dass die „Jungens“ und die „Mäkes“ manchmal eine ganz anständige Tracht Prügel kriegten. Als Kinder verkrochen wir uns, denn die Eltern hatten uns schon immer angedroht: Nun gibt’s denn Saures, wenn ihr nicht artch said! Passt man off, wenn der Schimmelraiter kömmt, denn ward dat je woll wat absetzen! Und dann erzählten sie, die Schimmelreiter dürften nicht mit ihren Larven über die Grenze gehen ins nächste Dorf. Dann würden sie in die Luft fliegen. Ob das nun gestimmt hat, das weiß ich nicht. Es ist wohl nur eine Sage.“

Bei uns in Natangen erzählte man sich, dass, wenn zwei Schimmelreiter sich auf der Brücke begegneten, einer von ihnen bald sterben musste.

Es waren die jungen Gespannführer, die alle Jahre vor Weihnachten den Schimmelzug bildeten. Der erste von ihnen war der Reiter. Sein Schimmelgestell mit den weißen Laken hatte eine Frau im Dorf in Verwahrung genommen. In der Weihnachtszeit gab sie es heraus, und danach, wenn sie es wieder in den Kasten legte, sprach sie den Schimmelsegen. Das müssen wohl sehr geheimnisvolle Worte gewesen sein, denn nie hat eine Frau den Schimmelsegen verraten.

Einen Abend, wenn wir gerade beim Pfefferkuchenbacken waren, hörten wir schon von fern eine Schlittenglocke, dazwischen Peitschenknall und die Akkorde der Harmonika. Die Mädchen erschraken und wollten den Schimmelzug nicht einlassen, aber sie wussten: wer ihn nicht ins Haus ließ und sich all das Pisacken nicht gefallen ließ, dem ging es schlecht das ganze nächste Jahr hindurch.

Es bullerte an der Tür, die war nie abgeschlossen. Lärmend sprangen Schimmel, Storch und Bär in die Hausdiele hinein, von den anderen gefolgt. In wilder Jagd ging es rund um den Tisch herum. Der Schimmelreiter, in seinem weißen Gestell umherspringend, eine Hand am Zügel, der zum holzgeschnitzten Pferdekopf ging, die andere zum Schlag mit der Peitsche bereit. Der Bär, in alte Pelze oder Erbsenstroh gehüllt, kroch auf dem Fußboden herum und kniff uns in die Beine. Der Storch, ganz verhüllt mit weißem Tuch, einen langen spitzen Schnabel heraussteckend, hackte uns damit ins Gesicht, ja, er spickte so heftig, dass unsere Wirtin noch lange Zeit mit einer blaugeschwollenen Backe herumlief. Dann fasste der Schornsteinfeger mit den Händen in den Ofen und „puscheite“ uns ins Gesicht. Wie sahen wir dann aus? Schwarze Gesichter hatten wir und verruschelte Haare, aber der Lohn stand bereit und wurde dem „Pracherweib“ in den Korb geschüttet: Äpfel, Pfefferkuchen und Zuckernüsse.

Sie polterten hinaus, wir hörten sie den Hohlweg hinunterlaufen, immer leiser wurden Glocken und Peitschenknall. Frisch gewaschen und gekämmt standen wir dann wieder am heißen Herd, formten Pfefferkuchenfiguren und schoben ein riesigen Blech nach dem anderen in die Backröhre. Viele, viele Menschen sollten damit erfreut werden. Und die schönsten Figuren: Schimmelreiter, Spinnersche, Bock, Adler und Pferdeköpfe, schön mit Zuckerguss bemalt, verwahrten wir gut, um damit am Heiligenabend den Tannenbaum zu schmücken. Später nach der Vertreibung, als uns Honig und all die anderen guten Zutaten fehlten, war doch immer genug Mehl und Sirup da, um unsere Pfefferkuchenfiguren zusammenzukleistern. Unser Weihnachtsbaum sollte immer so aussehen wie zu Hause.

Davon erzählt Frau Laging:

„Unsere Weihnachtsbaum zu Hause wurd‘ nicht wie hier mit künstlichen Sachen behängt, – sieht auch viel schöner aus: der Weihnachtsbaum frisch aus dem Wald geholt, mit selbstgebackenen Figuren. So wie ich jetzt sogar letzte Weihnachten beim Doktor v. L. gesehen hab‘, das war ein Weihnachtsbaum, – ich glaub‘, in ganz Deutschland war es vielleicht der einzige, an dem naturgebackene Figuren gehangen haben, Strohsternkes – und alles so schön geschmückt mit rotbackschen Äpfelchen und natürlichen Lichtern, – das ist das Schönste. Heute sieht man bloß den künstlichen Baumbehang, die Kugeln, möglichst noch so’ne elektrischen Kerzen. Alles, was der Mensch von Natur braucht und was einen freut, das wird heute alles in den Sand gedrückt. Alles heute nur das Künstliche, – das bedrückt doch wirklich einen Menschen, der so natürlich groß geworden ist.“

Im nord-, mittel- und osteuropäischen Raum gehört die Tanne als immergrüner Lebensbaum zum Fest der Weihenächte. Von einzelnen Lichterbäumen an Fürstenhöfen hört man seit dem späten Mittelalter. Vermutlich ist der Brauch viel älter. In Ostpreußen wie in ganz Deutschland löste der Weihnachtsbaum vor etwa 150 Jahren die in vielen Familien übliche mit Tannen beflochtene, mit Äpfel und Tierfiguren geschmückte Pyramide ab. Industrieller Christbaumschmuck kam erst Ende des vorigen Jahrhunderts auf. Auf dem Lande herrschte der Stroh schmuck vor.

Beschreibung und Rezepte der Honigkuchenfiguren wollen wir für später aufsparen und lieber noch ein wenig auf den Schimmelreiterzug eingehen. Hier handelte es sich wirklich um einen vorchristlichen Brauch, wobei wir bedenken müssen, dass das Christentum in Ostpreußen erst Mitte des 13. Jahrhunderts einzog, und dass altpreußische Sprache und altpreußische Kulte dann noch Jahrhunderte lebten, ja, erst nach der Reformation allmählich verschwanden. So leben im Schimmelreiterzug die mythischen Gestalten der Ureinwohner. Zu den drei Tiergestalten Schimmel, Baer und Storch und zur Gestalt der Apfelfrau (Frau Holle) gesellten sich viel später erst Gendarm oder Soldat, Zigeuner und andere Figuren. Es waren die Gestalten ohne besondere Bedeutung, nur um für jeden der jungen Burschen eine Verkleidung zu haben, damit alle teilnehmen konnten.

Und jetzt über den Sinn des Schimmelreiterzuges und des unsanften Vorgehens seiner Hauptgestalten.

Der Schimmel gehörte zum Preußengott Perkunos, Bock oder Bär zu Pikoll, der Adebar, der „Lebensbringer“, zum Frühlingsgott Potrimpos oder zu einer der Holle entsprechenden Frauengestalt. In den symbolischen Handlungen unserer Bräuche bringen Tiere dem Menschen Lebenskräfte aber sie nehmen auch das mit, was ausgekehrt werden muss.

Ohne zu forschen und ohne zu rechnen hatte der Landmensch seit frühsten Zeiten ein Gefühl dafür, was die Natur mit Menschen und Tieren vorhat.

In den dunklen Zeiten um Weihnachten und Neujahr schlüpft der Mensch zurück in Tierlarven, fühlt sich in dunklen Urzustand und versteht um Mitternacht die Sprache der Tiere.

Quelle: „Vom Festefeiern in Ostpreußen“ von Hedwig von Lölhöffel-Tharau, Hamburg 1987